Mehr Spannung geht nicht. Mehr „Hitchcock“ auch nicht. Was am Sonntagnachmittag die EWE Baskets Oldenburg und die MLP Academics Heidelberg im Viertelfinale des MagentaSport BBL POKALS zeigten, war an Intensität und Kampf nicht zu überbieten. Wie schon beim Ligaspiel in Heidelberg (102:94 nach Verlängerung) wurde es eine Partie, in der sich jede basketballerische Kleinigkeit als ausschlaggebend erwies. Insbesondere in der Crunchtime erlebten die 5.737 Zuschauer in der EWE Arena eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Am Ende hieß es 85:83 (21:23, 18:29, 22:14, 24:17) für die Norddeutschen, die letztlich die etwas besseren Entscheidungen trafen und auch einen Tick mehr Glück besaßen. Der letzte Dreierversuch von Eric Washington mit der Schlusssirene hatte nämlich schon „reingeguckt“.
Aus Sicht der topmotivierten Gäste war es diesmal ein „Fotofinish“ mit schlechtem Ausgang. Die Sensation, zum ersten Mal in ein „Top Four“ am 18./19. Februar 2023 einzuziehen und sich womöglich für die Ausrichtung der Endrunde zu bewerben, sollte greifbar nah sein. Denn lange Zeit hatten die MLP Academics Heidelberg den Rhythmus weitgehend diktiert. Die erste Halbzeit verdient es, herausgehoben zu werden. Von Beginn an ließen die Heidelberger keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sie dem Favoriten unbedingt ein Bein stellen wollten.
Mit knallharter und intelligenter Verteidigung stoppten sie die „Donnervögel“, so , dass diese phasenweise unter Flugangst litten. Beim 33:50 (19.) sah es tatsächlich nach einem Pokal-Coup aus. Basierend auf dieser erwähnten starken Defense spielten sich die Academics in einen Rausch, der die Hausherren bis ins Mark erschütterte. Darüber hinaus durften unglaubliche Wurfquoten bis zum Pausenstand (39:52) notiert werden. 71 Prozent Zweier, neun Dreier (53 Prozent) und 12 Assists belegten, welch exzellente Ballbewegung und Trefferquote diesen Vorsprung ermöglichten. Vincent Kesteloot und Washington überzeugten jeweils gar als „Mister 100 Prozent“. Kein einziger Wurf des Belgiers und des Amerikaners verfehlten bis dahin die Reuse.
Kein Wunder, dass die Oldenburger mit einer veränderten Taktik aus der Kabine kamen. In den Pick-and-Roll-Situationen ließen sie sich geschickt zurückfallen, wehrten sich im Duell zweier ähnlich veranlagter Teams und Systeme energisch und verkürzten den Abstand dank einer Energieleistung und Vehemenz, die von Pedro Calles geführte Mannschaften eben auszeichnen. Trotzdem konnten die MLP Academics immer wieder kontern, blieben leicht in Front und schienen die Kontrolle zu behalten.
Im Schlussviertel wurde es unterdessen zusehends enger. Oldenburg glich mehrfach aus (63:63, 69:69, 73:73), ehe ein eher aus der Not abgefeuerter „Wahnsinnsdreier“ vom Letten Rihards Lomazs die erstmalige Führung (76:73) für die Hausherren einbrachte. Jetzt kochte es im „Kessel“, zumal DeWayne Russell und im Schlussviertel Alen Pjanic wie entfesselt auftraten. 13 seiner insgesamt 15 Punkte gelangen dem Deutsch-Bosnier Pjanic binnen weniger Minuten.
Das Spiel, das in der ersten Halbzeit von der Attraktivität der Heidelberger Vorstellung lebte, war längst zu einer kompromisslosen Defensivschlacht mutiert. Erschwerend kam für das Team von Joonas Iisalo hinzu, dass die Nerven an der Freiwurflinie flatterten. 15/23 entspricht einem Wert von 65 Prozent – fatalerweise ein mitentscheidender Faktor. „Wir haben einige Freiwürfe vergeben“, sagte Vincent Kesteloot danach, „das sollte nicht vorkommen.“
Beim 85:81 kurz vor Schluss schien das Pokalmatch entschieden zu sein. Oder doch nicht? Tanner Leissner leistete sich ein unsportliches Foul gegen Washington und hätte den Gastgebern fast einen Bärendienst erwiesen. 13,7 Sekunden vor dem Abpfiff versenkte Washington erst beide Freiwürfe zum 85:83 – und Heidelberg hatte sodann bei eigenem Ballbesitz die Chance, den Ausgleich zu erzielen oder gar mit einem neuerlichen Buzzerbeater wie in Braunschweig von Max Ugrai zu triumphieren.
Topscorer Washington entschied sich für die zweite Option, übernahm die alleinige Verantwortung und verfehlte denkbar knapp. Der Traum vom Erreichen des „Top Four“ war abrupt vorbei. Schade, ewig schade.
Trotz aller verständlichen Enttäuschung bleibt den MLP Academics Heidelberg nicht viel Zeit zum Grübeln. Nach dem Pokalfight setzte sich das Team in den Bus und reiste noch am Abend gen Chemnitz weiter. Bereits am Dienstagabend (6. Dezember, 19 Uhr) gilt es, die nächste Herausforderung anzunehmen. In Sachsen wird Kapitän Akeem Vargas nach Absitzen seiner Zwei-Spieler-Sperre wieder mit an Bord sein. Die Gewissheit aus Oldenburg, gegen jede Bundesliga-Topmannschaft an einem guten Tag mithalten zu können, sollte Auftrieb und weitere Selbstsicherheit für den Liga-Alltag geben. Erst recht im Hinblick auf das nächste Heimspiel am Samstag (10. Dezember, 20.30 Uhr) gegen die Basketball Löwen Braunschweig im SNP dome.
Ein Ergebnis mit etwas weniger „Hitchcock“ für die MLP Academics wäre durchaus mal hilfreich für den emotionalen Haushalt.
Stimmen zum Spiel:
„Glückwunsch an die EWE Baskets. Natürlich sind wir enttäuscht. Wir waren so nah an den guten Oldenburgern dran. Wenn man mit einem Wurf und dem Ballbesitz die Möglichkeit hat, zu gewinnen oder zu verlieren, dann ist das die schlimmste und beste emotionale Situation zugleich – für uns waren es leider die schlechten Emotionen, die hochkamen. Gleichzeitig bin ich sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Wir haben Dienstag ein hartes Spiel gegen Chemnitz vor uns. Da haben wir keine Zeit, um der Niederlage nachzutrauern.“ – Joonas Iisalo, Trainer der MLP Academics Heidelberg
„Ich möchte meinen Spielern zum herausragenden Einsatz gratulieren. Wenn man mit 17 Punkten hinten liegt, dann kann das Spiel auch in eine ganz andere Richtung gehen als heute. Wir haben in der Halbzeitpause darüber geredet, was wir alles machen können, um das Spiel zu drehen. Wir haben Heidelberg nicht mehr als 20 Punkte in den zwei Vierteln gelassen – das war unser erklärtes Ziel. Ich freue mich nicht nur für unsere Spieler, sondern auch für das gesamte Trainerteam, für die Stadt und den Klub, denn es ist sehr schön, ins ,Top Four‘ eingezogen zu sein.“ – Pedro Calles, Trainer der EWE Baskets Oldenburg
„Es waren nur einige Details. Sie haben am Ende einfache Punkte gemacht und die besseren Entscheidungen getroffen. Wir lernen aus jedem Spiel und haben eine hervorragende Mentalität im Team. Wir sind oft in der Overtime oder über 40 Minuten immer ganz nah dran, um zu gewinnen. Das ist sehr positiv.“ – Vincent Kesteloot von den MLP Academics Heidelberg
„Jeder hat seinen Teil zum Erfolg beigetragen. Wir wussten, dass wir auf eine starke Mannschaft treffen. Die Academics sind sehr giftig. Hut ab, wie die gekämpft haben. Mit unseren Fans im Rücken hat es doch noch geklappt.“ – Alen Pjanic von den EWE Baskets Oldenburg
Für die MLP Academics Heidelberg spielten: Eric Washington 21 Punkte (2 Dreier), Vincent Kesteloot 18 (3), Max Ugrai 12 (1), Elias Lasisi 12 (4), Tim Coleman 8 (2), De’Jon Davis 4 (1), Shy Ely 4, Lukas Herzog 3 (1), Niklas Würzner 1, Felix Edwardsson (DNP).
EWE Baskets Oldenburg: DeWayne Russell 28 (4), Alen Pjanic 15 (2), Maximilian DiLeo 12 (2), Tanner Leissner 11 (1), Rihards Lomazs 6 (2), Owen Klassen 6, Trey Drechsel 4, T.J. Holyfield 3, Bennet Hundt, Kenneth Ogbe (DNP).
Text: Joachim „Jogi“ Klaehn
MLP Academics Heidelberg
Kommunikation und Medien