Es gibt Korbjagden, die sind vom Spannungsbogen her nicht zu toppen. Die Partie am 24. Spieltag der easyCredit Basketball Bundesliga, die die MLP Academics Heidelberg mit 88:86 (22:18, 17:26, 12:18, 37:24) gegen die Rostock Seawolves gewannen, war vor 3.877 Zuschauern im SNP dome nichts für schwache Nerven. Dass die Emotionen sogar noch einen Tick mehr überschwappten als sechs Tage zuvor beim 92:87 gegen die Telekom Baskets Bonn, illustriert nachhaltig die Bedeutung eines „Wahnsinnsspiels“, das aus Academics-Perspektive das Prädikat besonders wertvoll verdient.
Über lange Strecken entpuppte sich das Match zwischen dem Tabellen-17. und -15. als eine Art von Abnutzungskampf. Man spürte buchstäblich vom Sprungball weg, dass es für beide Mannschaften um sehr, sehr viel ging. Die Heidelberger wollten mit aller Macht den Anschluss an die Nichtabstiegsplätze herstellen, die „Seewölfe“ von der Ostsee nicht zum elften Mal hintereinander Schiffbruch erleiden. Nach dem hauchdünnen 88:86 ist genau das passiert: Unsere MLP Academics dürfen angesichts zweier Erfolgserlebnisse im Heimspiel-Doppelpack gegen Bonn und Rostock fest an den Klassenerhalt glauben. Und für die Gäste aus Mecklenburg-Vorpommern heißt es nun, dass auch bei ihnen das Zittern begonnen hat.
„Hauptsache gewonnen“, sagte Headcoach Ingo Freyer mit etwas Abstand. In den letzten zwei, drei Minuten sei er sehr fokussiert gewesen, habe insbesondere auf die Körpersprache seiner Academics-Profis geachtet und gefühlt: „Da geht noch etwas, das klappt noch!“ 2:47 Minuten vor dem Ende lagen die Seawolves mit 82:71 vorne – 16 Sekunden später hieß es 84:74 für sie. Die Niederlage schien zementiert zu sein. Doch Justin Jaworski, Elijah Childs und Isaiah Whaley sorgten für ein spektakuläres Comeback und ein Happy End, das nur schwer in Worte zu fassen ist. Ingo Freyer: „Ein solches Drehbuch zu schreiben, ist schwierig.“ In der Tat …
Die MLP Academics begannen schwungvoll. Lagen in der ersten Hälfte meistens in Front. Mit einer soliden Vorstellung, aber ohne Glanz. Kein Wunder: Die Kontrahenten schenkten sich nichts auf dem Parkett, Kampf pur dominierte das Geschehen. Gegen Ende des zweiten Viertels verschafften sich die Rostocker Vorteile, wirkten abgeklärter und trafen hochprozentiger. Das 39:44 war die logische Folge. Im dritten Viertel wurde es sogar noch brenzliger. Das Academics-Team ließ Struktur und Überzeugungskraft vermissen, schloss zu häufig überhastet ab und schaffte auch selten Stopps in der Verteidigung (51:62, 3. Viertel).
Zu Beginn des Schlussabschnitts sah es düster aus, nachdem Playmaker Lester Medford einen Dreier zum 51:65 (31.) versenkt hatte. Die Entscheidung? Von wegen. In dieser überaus kritischen Phase berappelten sich die Hausherren, drei Dreier hintereinander von Isaiah Whaley (1) und Niklas Würzner (2) bis zum 62:69 (33.) setzten immens wichtige Akzente. Die Hoffnung auf die Wende kehrte zurück, wenngleich Mannschaft, Trainerstab und Fans weiterhin heftig leiden mussten.
Gerade in diesem Moment demonstrierte Lokalmatador „Niki“ Würzner seinen Wert fürs Academics-Kollektiv. Klasse, wie er seine Energie offensiv wie defensiv einsetzte, clever dosierte und sich als emotionaler Leader entpuppte. Zusätzlicher Effekt: Der Funke sprang aufs Publikum über. Jede einzelne Aktion wurde im SNP dome ausgelassen mit Höllenlärm gefeiert. Es passte zu diesem verrückten Spielfilm, dass Justin Jaworski, den nach dem Seitenwechsel das Wurfglück verließ, in der Crunchtime zum Matchwinner avancierte. 3,5 Sekunden vor dem Ende brachte der Neuzugang mit zwei verwandelten Freiwürfen zum 88:86 den Sieg unter Dach und Fach, während sein Rostocker Pendant Lester Medford in allerletzter Sekunde aus knapp neun Metern daneben warf. Ein 14:2-Lauf im zweieinhalbminütigen Endspurt machte den Unterschied zu Gunsten der Heidelberger aus.
Und: Im finalen Viertel scorten die Academics mehr Punkte (deren 37!) als in den 20 Minuten davor (zusammengerechnet 29). Sensationell!
Bei den MLP Academics überzeugten diesmal Isaiah Whaley (16 Punkte, 11 Rebounds), Elijah Childs (20 Punkte, 7 Rebounds), Justin Jaworski (22 Punkte, 11 Assists) sowie Niklas Würzner (10 Punkte, zwei wichtige Dreier und 4/4 Freiwürfe) am meisten. Ein mitentscheidender Faktor für den fünften Saisonerfolg war überdies, dass man Rostocks Topscorer Derrick Alston Jr. nach einer starken ersten Hälfte exzellent abschirmte und ihm keinen einzigen Zähler mehr in den Vierteln drei und vier gestattete. Nach dem Abpfiff gab’s kein Halten mehr. Die MLP Academics zauberten einen Freudentanz aufs Parkett. Niklas Würzner ergriff das Mikrofon und fand gegenüber der erneut fantastischen Kulisse passende Worte: „Diese Saison ist nicht vorbei. Wir schaffen das – let’s go Heidelberg! Ohne Euch hätten wir das nicht geschafft.“
Mit diesem knappen Ergebnis und phänomenalen Erlebnis lässt sich zweifellos selbstbewusster in den Countdown der regulären Saison gehen, zumal die Abstiegskonkurrenten Crailsheim (93:98 beim MBC) und Tübingen (69:112 in Berlin) verloren. Am kommenden Samstag (18.30 Uhr/live bei Dyn ab 18.15 Uhr) geht es für die Freyer-Schützlinge bei den EWE Baskets Oldenburg weiter. Klar, dass sie das Momentum auch im Norden Deutschlands für sich nutzen möchten.
Intensiver, dramatischer und verrückter geht es eigentlich seit Samstagabend nicht mehr. Oder etwa doch? Unmöglich ist in den letzten zehn Spielen und in dieser aufwühlenden, adrenalinhaltigen Saison 2023/2024 so gut wie nichts.
Stimmen zum Spiel:
„Wir hatten ein, zwei Phasen im Spiel, in denen wir nicht die Intensität auf den Court gebracht haben, wie ich mir das wünsche. Wir haben immer Phasen, in denen das gut läuft, aber wir müssen das noch öfter machen. Am Ende zählt der Sieg. Es ist gut zu wissen, dass wir auch bei 10 Punkten Rückstand gezeigt haben, dass wir das trotzdem nach Hause bringen können und dass wir trotzdem an uns glauben – in Verbindung mit allen Fans in der Halle, das war für mich der Knackpunkt.“ – Ingo Freyer, Headcoach der MLP Academics Heidelberg.
„Glückwunsch an Heidelberg, unfassbares Comeback. Wenn man das Spiel eigentlich schon in der Hand hat, kann man das so dann nicht mehr abgeben. Genau das haben wir gemacht. Heidelberg macht dann die Big Plays am Ende, wir haben es nicht mehr geschafft, ein Play zu machen und dann verliert man so ein Spiel.“ – Christian Held, Headcoach der Rostock Seawolves.
„Ich denke, jeder hat sich im letzten Viertel nochmal den Allerwertesten aufgerissen. Natürlich sind solche Würfe am Ende auch wichtig, wir konnten teilweise die Aufholjagd nicht ganz zu Ende bringen, Rostock hat viele schwere Würfe getroffen, ich war eigentlich weitestgehend zufrieden mit der Defense, die wir heute gezeigt haben. Vor allem in der ersten Hälfte hat Rostock sehr schwere Würfe getroffen. Am Ende macht es sich bezahlt, wenn man die Energie auf das Feld bringt und nicht aufgibt. Schlussendlich haben wir es geschafft, das Spiel zu drehen.“ – Niklas Würzner, Point Guard der MLP Academics.
Joachim „Jogi“ Klaehn
MLP Academics Heidelberg
Kommunikation und Medien
Fotos: Achim Kunetka und Lukas Adler