Totgesagte leben länger – das gilt zumindest seit Sonntag für die Korbjäger von medi Bayreuth. Denn fast jeder Szenekenner ging davon aus, dass die katastrophale Auswärtsserie um eine weitere Episode bei den FRAPORT Skyliners Frankfurt erweitert wird, denn die Oberfranken hatten 431 Tage nicht mehr in fremden Arenen gewonnen. Beim Hochhausklub gelang den Wagnerstädtern ein spektakuläres 113:107 (26:17, 29:19, 29:40, 29:31), sodass ihnen die klitzekleine Hoffnung auf ein sportliches Wunder bleibt. „Jetzt haben unsere weiteren Spiele einen Sinn, denn sonst hätten wir nur noch rumgeeiert“, sagte Bayreuths Headcoach Mladen Drijencic nach dem Coup in Frankfurt. Am Mittwochabend (19 Uhr/live ab 18.45 Uhr bei MagentaSport) möchten seine Profis vor heimischer Kulisse in der „Oberfrankenhölle“ gegen die MLP Academics Heidelberg alles geben, um das Unmögliche in der easyCredit Basketball Bundesliga doch noch möglich zu machen.
Freilich halten die Bayreuther ihr Schicksal nicht mehr in den eigenen Händen. Fahren die Basketball Löwen Braunschweig bereits am Dienstagabend im Kellerduell gegen die FRAPORT Skyliners Zähler ein, dann wäre der Meister von 1989 und zweimalige Pokalsieger (1988, 1989) vor dem Abstieg in die ProA nicht mehr zu retten.
Doch dieser leidgeplagte Klub ist Überlebenskampf gewohnt. Viele Namensänderungen zählen zur wechselvollen Historie des Vereins. 1999 stieg Basket Bayreuth nicht nur aus der Ersten Liga ab, sondern man musste sogar Insolvenz anmelden. Den Neustart wagte Nachfolger BBC Bayreuth von der Regionalliga Südost aus. Und wieder einmal steht die Spielbetriebs GmbH offenbar vor einer einschneidenden Zäsur – Alleingesellschafter Carl Steiner hatte im Januar bekanntlich nach fast vier Jahrzehnten Engagement den definitiven Rückzug zum Saisonende 2023 angekündigt. Eine prekäre Lage. So liegt es nahe, dass der Verein den Weg in die ProA zum Anlass nimmt, erneute Umstrukturierungen und Wiedergenesungsprozesse einzuleiten. Krise ist stets eine Chance.
Wie dem auch sei: Medi wird sich gegen die MLP Academics mächtig ins Zeug legen. Das sind die oberfränkischen Korbjäger ihrem phantastischen Publikum schuldig. Außerdem geht es für die meisten Akteure der Einheimischen um künftige vertragliche Perspektiven. „Bayreuth ist seit dem Trainerwechsel (Anm. der Red.: Von Lars Masell auf Mladen Drijencic) eine andere Mannschaft. Sie sahen in vielen Spielen gut aus und haben Siege nur knapp verpasst“, warnt Heidelbergs Sportlicher Leiter Alex Vogel vorab die eigene Mannschaft, „in Frankfurt haben sie im Angriff überragend gespielt und einen wichtigen Sieg eingefahren.“
Vor allem Ahmed Hill (37 Punkte, acht Dreier, sechs Rebounds) und Otis Livingston II (30, acht Assists) überragten in der hessischen Metropole und stellten persönliche BBL-Bestmarken auf. Academics-Headcoach Joonas Iisalo erwartet von seiner Mannschaft, dass sie mit „viel Energie, Intensität und Fokus“ aufs Parkett marschiert. „Wir brauchen das insbesondere in der sehr lauten Oberfrankenhalle, in der sich das Heimteam von der Energie des Publikums ernährt“, sagt Iisalo.
Im Hinterkopf haben beide Kontrahenten noch das Hinspiel im SNP dome vom 15. Januar. Ein Hitchcock-Thriller, der erst nach 50 Minuten Nettospielzeit und zwei Verlängerungen entschieden worden war. 107:101 (20:11, 28:25, 19:20, 16:27, 10:10, 14:8) hieß es am Ende für die Kurpfälzer nach einem ständigen Wechselbad der Gefühle. Eric Washington rettete die „Jungs vom Neckar“ dabei gleich zweimal. Sein Dreier – 8,2 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit – zum 83:83 brachte Heidelberg in die erste Verlängerung. Washingtons Korbleger zum 93:93 flutschte 1,0 Sekunden vor der Sirene durch die Reuse. Ganz am Ende schwanden bei den Gästen während der zweiten Overtime die Kräfte. Ein Wahnsinns-Spiel mit einer irren Dramaturgie, die sich kein Drehbuchautor dichter und emotionaler hätte ausdenken können.
An die damaligen Hochs und Tiefs erinnert sich Joonas Iisalo gut. Die Lektion aus der Hinrunde? „Sie sind ein Team mit vielen guten Werfern und Scorern und du darfst sie nicht heiß laufen lassen“, so Iisalo. Ahmed Hill jedenfalls sollten die Academics nicht aus den Augen verlieren – weder in Eins-gegen-Eins-Situationen noch bei Pässen für ihn raus auf die Dreierlinie. Im ersten Match blieb Ahmed Hill vergleichsweise unauffällig, dafür schenkte Brandon Childress den Heidelbergern 37 Punkte und acht Dreier ein. Childress fehlte Bayreuth in vier Spielen wegen einer Muskelverletzung, das war für medi – der Namenssponsor ist Hersteller von medizinischen Hilfsmitteln – ein äußerst schmerzhafter Verlust. Der 25-jährige Point Guard, dessen Vater Randolph Childress früher für die Detroit Pistons in der NBA auflief und später dann zuvorderst in Italien agierte, stand in Frankfurt bereits auf dem Spielberichtsbogen und wird gegen Heidelberg auf dem Feld zurückerwartet.
„Daheim haben sie gerade zu Beginn einer Partie mit ihren tollen Fans immer viel Energie. Wir müssen von Anfang an wach sein und genau diese Energie matchen“, beschreibt Alex Vogel die besondere Atmosphäre im 3.400 fassenden Hexenkessel mitten im Herzen von Bayreuth, „nach zwei guten Leistungen zuletzt, bei denen wir uns leider nicht mit einem Sieg belohnen konnten, wollen wir nun wieder erfolgreich sein.“ Sowohl das knappe 86:90 bei den Veolia Towers Hamburg als auch der Einbruch im letzten Viertel gegen die Telekom Baskets Bonn (74:91) fuchst die Heidelberger noch im Nachhinein. Das Bestreben, es besser hinzukriegen, ist groß. „Jeder war enttäuscht über das Endresultat gegen Bonn. Wir haben das Spiel im vierten Viertel aufgrund ihrer individuellen Stärken und unserer eigenen Fehler hergegeben“, sagt Joonas Iisalo, fest davon überzeugt, eine bereitwillige und fokussierte Mannschaft am Roten Main zu coachen.
Niklas Würzner dürfte laut Iisalo nach überstandener Knöchelverletzung wieder dabei sein. Dagegen ist für „Pechvogel“ Tim Coleman die Saison vorzeitig zu Ende. Der Linkshänder hat vergangenen Mittwoch in Hamburg einen Mittelhandbruch erlitten, wie die Untersuchungen ergaben. Coleman kennt sich hinlänglich mit Verletzungen, Schmerzen und Rückschlägen aus. Bei den Merlins Crailsheim, seiner vorherigen Profistation, war er wegen einer schweren Knieverletzung insgesamt 611 Tage zum Zuschauen verurteilt.
Wie bei medi Bayreuth stirbt die Hoffnung bei Tim Coleman zuletzt. Manchmal wirft das Basketball-Leben einen Verein oder einen einzelnen Spieler um. Wieder aufstehen ist ganz klar die beste Option.
Joachim „Jogi“ Klaehn
MLP Academics Heidelberg
Kommunikation und Medien